74 Tage Westerwelle

Guter Mann im falschen Amt (links)

Guter Mann im falschen Amt (links)

Guido Westerwelle ist seit dem 28. Oktober 2009 Bundesaußenminister und Vizekanzler. Es müssen nicht die klassischen 100 Tage abgewartet werden, um festzustellen, dass sich unerfreuliche Tendenzen in der deutschen Aussenpolitik abzeichnen. Es ist definitiv noch zu früh, die Frage zu beantworten, ob ihre Ursachen in Naivität oder kalkuliertem Opportunismus zu suchen sind. Zweifelsfrei ist aber, dass etwas gehörig schief läuft, wenn die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth Westerwelle attestiert, er habe „vernünftig und mit Weitblick agiert“. Einen zuverlässigeren Kompass dafür, dass genau das Gegenteil richtig ist, hat die deutsche Politik kaum aufzubieten (wenngleich es eine Reihe von Kandidaten gibt, die Madame das Wasser reichen können).

Guido Westerwelle ist ein Politiker mit erheblichen Talenten und beeindruckender Sachkunde. Diese Fähigkeiten bestehen beispielsweise darin, die liberalen Gedanken und Grundsätze von Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft im Rahmen einer demokratischen Gesellschaftsordnung plausibel und überzeugend darzulegen. Seine politischen Stärken liegen im Bereich der Steuer- und Wirtschaftspolitik, beim Abbau von Bürokratie und Überregulierung. Ein Superministerium aus Finanzen und Wirtschaft, in das Westerwelle den kongenialen Friedrich Merz holt, hätte der Bundesrepublik eine Initalzündung versetzen können. Hier hätte Westerwelle sachkundig und souverän agieren können. Und etwas bewegt.

Mit der jetzigen Ämterverteilung präsentiert sich Schwarz-Gelb hingegen als eine mittelmäßige führungslose Truppe, die sich regelmäßig vor den Querschlägern des irrlichternden bayerischen Amokläufers Horst Seehofer wegducken muss.

Als Westerwelle seinem lang gehegten Wunsch nachgab, Aussenminister zu werden, hat er sich für sein Ego, aber gegen seine Talente entschieden. Und auch gegen das Land, dem er im Amt dienen muss. Westerwelle wirkt nicht, als wäre er der Aufgabe gewachsen. Gibt er Erklärungen ab, fehlt ihm jede Authentizität. Er tritt nicht mit Autorität auf, er wirkt unsicher, unerfahren,  wie jemand, der Aussenpolitik im Amt lernen muss.

Westerwelles erster kapitaler Fehltritt war sein Eintreten für den Abzug amerikanischer Atomwaffen aus der Bundesrepublik. Albernes Polittheater, Schauspielerei. Die Bestrebungen sind umso abwegiger, als Deutschland in der Tat eine gewichtige Rolle bei der Bekämpfung von Proliferation in Sachen Iran spielen kann und muss. Die Mullahs sind eine (lebens-) gefährliche, amoklaufende Mörderbande und Deutschland ist ihr wichtigster Handelspartner. Hier hätten klare Worte Westerwelles Eindruck gemacht. Stattdessen ein lauwarmer Aufguss von Obamas alberner Prager Rede, über die der französische Staatspräsident Sarkozy zutreffend bemerkte: „Nichts als Rhetorik…heiße Luft. Das war keine Rede über die amerikanische Sicherheitspolitik, sondern ein Exportmodell zur Imageverbesserung“.

Während die Amerikaner nach überlangem Hin und Her ankündigen, 30.000 weitere Soldaten nach Afghanistan zu schicken (die, wenn es nach dem Präsidenten geht, nach Eintreffen sogleich wieder abgezogen werden sollen), stellt sich Westerwelle gegenüber der Mission und den deutschen Bündnisverpflichtungen quer. Der Friedensminister fabuliert etwas von weiterer Polizeiausbildung, mehr Entwicklungshilfe und anderen zivilen Aufbaumaßnahmen, während die Amerikaner mit Spezialkräften in und um Kunduz aufräumen. Blamabel und peinlich. Westerwelle hat die ganz elementaren Erkenntnisse der erfolgreichen Irak-Strategie (Counterinsurgency – COIN) von General Petraeus nicht verstanden. Alle zivilen Maßnahmen sind unnütz ohne Sicherheit für die Bevölkerung. Mit ihr steht und fällt die gesamte Mission. Gerne können die Bundeswehrsoldaten Mädchenschulen anpinseln und Gräben ausheben. Aber vorher muss sich – auch die Bundeswehr – der Taliban „annehmen“. Sich hier zu entziehen, ist gegenüber den Afghanen und den Bündnispartnern und vor der eigenen historischen Verantwortung nicht vertrebar.

Ich glaube allerdings nicht, wie hier und dort gemutmaßt wird, dass diese Haltung von Westerwelle aus Opportunismus aufgrund der Unbeliebtheit des Krieges in Afghanistan eingenommen wurde. Ich habe mich vor einigen Jahren auf dem Geburtstag eines gemeinsamen Bekannten länger mit ihm über den Einsatz in Afghanistan und das Wegducken der Bundesrepublik vor Kampfeinsätzen, die man lieber anderen überliess, unterhalten. Schon damals sah er seine erste Pflicht darin, „die deutschen Soldaten zu beschützen“.

Wie man mit dieser Haltung einen Krieg gewinnen will, blieb unklar.

Bei seinem Besuch in der Türkei hat Westerwelle Staatschef Erdogan relativ deutlich zu verstehen gegeben, dass er für eine Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU eintrete.  Die Türkei ist für den Westen verloren. Einst als Apothese einer zuverlässigen pro-westlichen Demokratie dargestellt, hat die Türkei zwischenzeitlich die westliche Allianz faktisch verlassen und ist Vollmitglied der Achse Iran-Syrien-Hizbollah-Hamas geworden. Die Feindseligkeit gegenüber Israel und die Fürsorglichkeit gegenüber Syrien und der Hamas sind dabei nicht neu. Seit der Machtübernahme von Erdogans AKP findet ein Abdriften in die radikale islamische Welt statt. Im Februar 2006 empfing der AntiSemit Erdogan als erster Staatschef die Führer der Terrororganisation Hamas im Rahmen eines offiziellen Staatsbesuchs. Die Türkei schmuggelte im gleichen Jahr iranische Waffen an die Hisbollah, die sich im Krieg mit Israel befand. Während Israels Krieg gegen die Hamas im Gaza-Streifen schlug sich die Türkei auf die Seite der Terroristen und fordete den Ausschluß Israels aus der UNO. Die Türkei unterstützt das iranische Atomwaffenprogramm, lässt al Qaida-Finanziers unbehelligt wirken und kooperiert militärisch mit Syrien. Der militante Islam ist in der Türkei seit langem, von der AKP unterstützt, auf dem Vormarsch (im Militär, in der Wirtschaft, in den Gerichten und den Medien).

Die Türkei ist für den Westen verloren und hat in der EU keinen Platz.

Viele Fehler in 74 Tagen. Das Westerwelle seine Positionen korrigiert, glaube ich nicht.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2010

Kommentar abgeben

Weitere Informationen und Widerrufshinweise finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Kommentare

  1. M. Manie

    Ach, Herr Steinhöfel, was haben unsere Soldaten in Afghanistan zu suchen? Und welche sog. ‚Bündnisverpflichtungen‘ sollen wir befolgen? Sollen wir nun auch noch jubelnd als Hilfsvolk der USA in Kriege ziehen, ausgesprochen fremde Angelegenheiten vertreten und buchstäblich mit unserem Gut und Blut ‚blechen‘?

    Weltmacht spielen ist eben teuer und auch gefährlich, liebe US-Amerikaner! Holt eure heißen Kartoffeln also gefälligst selbst aus dem Feuer! Und bezahlt auch selbst die Musik, die ihr bestelltet!

    Schon vergessen, dass es bei dem ganzen Afghanistan-Kram ursprünglich um die selbst heran gezogenen Halunken (Verbündete) der USA ging und geht? Schon vergessen, dass die USA sich mit den Taliban-Banditen ursprünglich wegen einer Ölleitung durch deren Herrschaftsbereich verzankten? Schon vergessen, dass der blödsinnige Irak-Krieg mit unsäglicher Verlogenheit begründet wurde (angebl. Massenvernichtungswaffen, El-Khaida-Unterstützung usw.: Alles nachweislich Quatsch!), wobei es nüchtern gesagt nur um den Zugriff auf die Ölvorkommen dort geht?

    Unsere Sache (Interesse)? – Von wegen! Leckt uns mal kreuzweise… wo auch immer…

  2. Sebastian

    Vollkommen richtig, Westerwelle hat sich bereits in kurzer Zeit als Totalausfall erwiesen. Der Ausverkauf deutscher Interessen geht also weiter. Leider befindet er sich in diesem Schreckenskabinett in bester Gesellschaft. Seit Helmut Schmidt hatte Deutschland keinen guten Kanzler mehr. A. Merkel ist nur ein weiterer Irrtum der Geschichte. Die Gründung einer konservativen patriotischen Partei der Mitte ist in Deutschland längst überfällig und hätte beträchtliches Wählerpotential. Wäre das nichts für Sie?

  3. lebowski

    Wieso hat Westerwelle wohl der Türkei eine Vollmitgliedschaft im „wohlverstandenen“ deutschem Interesse in Aussicht gestellt? Die exportorientierte deutsche Wirtschaft braucht neue Märkte! Da käme die große Türkei gerade richtig. Und ob die Türkei ins islamische Lager abdriftet, interessiert in den Vorstandsetagen keine Sau. Und von denen kriegt Westerwelle seine Anweisungen.

    „Diese Fähigkeiten bestehen beispielsweise darin, die liberalen Gedanken und Grundsätze von Eigenverantwortung und Leistungsbereitschaft im Rahmen einer demokratischen Gesellschaftsordnung plausibel und überzeugend darzulegen.“

    Mit Leistungsbereitschaft und Eigenverantwortung kann man blöderweise keine kapitalistische Wirtschaft am Laufen halten. Dazu braucht man dummerweise noch Absatzmärkte und Rohstoffe. Deshalb war die Anbiederung an Erdogan und islamische Despoten kein Fehler sondern nur konsequent.

  4. Volker

    Mein lieber Herr Steinhöfel. Magnificus! Eine Zusammenfassung, sehr gelungen und exakt auf die wesentlichen Punkte beschränkt. Besser hätte man es nicht schreiben können. Für mich Anlass genug Ihre Seite nun öfters zu besuchen.

  5. Justus

    Westerwelle als Aussenminister?! Eine Katastrophe in jeder Beziehung. Wer in Polen so kuscht und der Türkei den Beitritt offeriert, hat den geleisteten Amtseid nicht verstanden. Man schämt sich für ihn. DEN haben wir wirklich nicht verdient.

  6. Otto

    „Die Türkei ist für den Westen verloren und hat in der EU keinen Platz.“

    Das wissen natürlich auch sämtliche EU-Bürokraten, Merkel, Sarkozy etc. Dennoch betreiben sie ganz offensichtlich den Beitritt. Wer traut sich zu sagen, warum?

  7. Dolf

    Du liebe Güte,
    nicht in ALLEM ist dieser neue „Außenminister“ zu verdammen. Ähm, zumindest, wenn er denn kein „Außenminister“ wäre.

    In seinem Handeln und Propagieren beweist er sich jedenfalls als wackerer Deutschland-Beauftragter der Polen, der Franzosen und jedem sonst wie gelegenen Land. Mit Ausnahme dieser ekelhaften Täter-Nation, versteht sich.

    Guido möchte die Türken in der EU (= endgültige Bankrotterklärung)?

    Fein! Mögen sie die Macht übernehmen und ihn dorthin befördern, wohin… [Text gekürzt, JS].

  8. ap

    @Reinhard Pantke: Und wer bitte sind wir? Ich könnte auf solche Denkanstöße gern verzichten, zumal ich schon am Wahlabend bedient war. 🙂

  9. So gut würde ich es auch gerne benennen können!

    Auf mich wirkt Herr Guido wie ein kleines Kind in der Trotzphase, das mit den Füßen aufstampft und greinend „Ich will aber“ plärrt, ohne allerdings wirklich zu wissen, was es will.
    Und Frau Kanzler (von manchen Zeitgenossen auch Mutti genannt) lässt das Kind gewähren…
    Man fragt sich, wie lange das noch gut gehen kann….

  10. Guido Westerwelle hat m.E. die großen Linien der deutschen wie der europäischen Außenpolitik noch nicht verstanden als da sind :

    — Vertretung der Interessen seines Landes und der Interessen der Bürger seines Landes nach außen !

    — Vermittlung zwischenstaatlicher Interessen zum eigenen Vorteil.

    — Verteidigung der Rechtsnormen und der Werte Europas — Stichworte „Internationale Deklaration der Menschenrechte“ sowie „Europäische Aufklärung“ ! — weltweit.

    Eckhardt Kiwitt, Freising
    http://islamprinzip.wordpress.com/about

  11. Reinhard Pantke

    Mein lieber Scholli Herr Steinhöfel!
    Wenn wir Sie nicht hätten, bräuchten wir wir fast so etwas wie PI oder kewil…

    Meine Hochachtung.

Pingbacks

  1. Westerwelle macht den Obama « Zeitung für Schland