Der grosse Irrtum des Egon Bahr

Ich habe ihn nie getroffen. Aber dennoch war Egon Bahr mir sympathisch. Seine stets ruhige, sachliche und sachkundige Art, seine Positionen zu vertreten. Das wird fehlen. Er hat sich Respekt und Achtung verdient. Persönlichkeiten seines Formats fehlen der SPD und der Republik.

Bahrs berühmtester Satz ist sicherlich dieser:

„Wandel durch Annäherung“.

Und wegen dieser und vergleichbarer Äußerungen wird er in der Berichterstattung zu seinem gestrigen Tod gebetsmühlenartig als „Architekt der deutschen Einheit“ bezeichnet. Was falscher nicht sein könnte. Es gab weder Wandel durch Annäherung noch hat Bahrs strategische Ausrichtung den Weg zur deutschen Einheit geebnet. Im Gegenteil.

Bahr und Brandt waren zutiefst davon überzeugt, dass es richtig sei, auf ein Regime von Massenmördern in Moskau und dessen Schergen in Ost-Berlin zuzugehen. Sie betrieben eine Politik der Zugeständnisse, des Appeasements, der utopischen Vorstellung eines Friedens ohne Sieg. Des ständigen Nachgebens um bloß jede „Provokation“ des Gegners zu vermeiden. Und verliehen damit den verbrecherischen Diktatoren Legitimität. Erschüttert haben sie die Regime, die Hunderte von Millionen Menschen hinter dem Eisernen Vorhang versklavt haben, nicht. Im Gegenteil. Wir wissen heute, wie wichtig es für die eingekerkerten Dissidenten in den Gulags war, wenn Sie hörten, dass US-Präsident Reagan die Sowjetunion als „Reich des Bösen“* bezeichnete.

Reagan ging einen völlig konträren Weg. Er provozierte und bekämpfte das Unrechtsregime in Moskau, nannte dessen Verbrechen beim Namen. Und verhandelte später doch mit Gorbatschow. Seine grosse Rede aus dem März 1983 („The Evil Empire“) , eine der grössten rhetorischen Leistungen der letzten Jahrzehnte, vereinte rednerische Brillianz, den Mut zur Wahrheit und heftete den Kommunisten ein Label an, dass sie von da an nicht mehr los wurden: Das Reich des Bösen.

Auch der Tod eines großen Sozialdemokraten ist kein Anlaß für Geschichtsverfälschung. Egon Bahr trug nicht zum Untergang des Sowjetkommunismus bei. Er hat dem Reich des Bösen die Hand ausgestreckt. Sein grösster historischer Verdienst war in Wirklichkeit ein grosser historischer Fehler.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2015

*Natan Sharansky, a Jewish dissident, was an inmate of Permanent Labor Camp 35. His Soviet captors informed him of what this saber-rattling, dangerous president had dared to utter. Upon learning what Reagan said, Sharansky (after the guards left) jumped for joy inside his prison cell and tapped in Morse Code to his fellow gulag residents the good news that “someone had finally spoken the truth” about the USSR. “We dissidents were ecstatic,” said Sharansky. “Finally, the leader of the free world had spoken the truth — a truth that burned inside the heart of each and every one of us.”

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Kommentare

  1. Dr. Haas

    Sehr geehrter Herr Steinhoefel,

    ich bin 1938 geboren und habe bis 1986 im Osten gelebt.

    Wir verdanken die Wiedervereinigung dem Weitblick von Reagan, Bush sen., Gorbatschow und Helmut Kohl.

    Die Ostpolitik der SPD hat nichts beigetragen.
    .Sie war ein Fehler, und die Betulichkeit der SPD gegenueber Ostberlin und Moskau war peinlich und vermutlich sogar kontraproduktiv.
    Grossartig wie zutreffend sie denken
    Grossartig, wie zutreffend Sie denken.

    Meinen Respekt ! Sie sind erst 1962 geboren und haben die Deutschlandpolitik jener Zeit nur als junger Mann kennengelernt.

    Grossartig wie sie das alles zutreffend durchdacht haben !

  2. Mike v Dyke

    Endlich mal einer, der diese Geschichtslüge klar benennt. Dabei ist es noch schlimmer. Als jemand, der in eine mauergetrennte Familie geboren wurde und deshalb jährlich in die DDR reisen musste, weil meine Mutter nur so einmal im Jahr ihre Mutter sehen konnte, habe ich die Entwicklung hautnah, zeitnah und lebensnah mitbekommen. Und ich weiß deshalb noch sehr genau, was das einzige fühlbare Resultat der Brandtschen Ostpolitik war: die Erhöhung des Zwangsumtausches von 10 mark auf 25. Die ganzen großen Ferien konnten wir uns dann nicht mehr leisten. Für meine Mutter, früh verwitwet und danach allein Westen mit Kind, war das sehr schwer, auf einen Teil der Zeit mit der Familie im Osten verzichten zu müssen.
    Leider kann die Lügenpresse offenbar nicht akzeptieren, dass die gesamte Einschätzung der politischen Lage seitens der linksgerichteten Politik jener Ziet völlig falsch war.
    Vor der Wiedervereinigung war es ganz ähnlich, dass die Bandbreite der Linken sich nur zwischen den Extremen der DDR als angeblich besserem Deutschland (für die, die nie da waren) und einem grundsätzlichem Pessimismus, man dürfe von Wiedervereinigung nicht reden, weil das die Herren im Sozialismus drüben ärgern könnte, schwankte.
    Alles Fehleinschätzungen, wie wir heute wissen. Aber sie wollen es heute medial alles weglügen.
    Unvergessen Hans Eichel, der heulend beteuerte, auch immer fürbdie Wiedervereinigung gewesen zu sein.
    Und dann gibt es später den Sender Phoenix, der alte Bonner Debatten wiederholt. Und man traut seinen Augen und Ohren nicht und hört eben jenen Hans, wie er gegen den Wiedervereinigungsgedanken geifernd polemisiert.
    Heute bin ich gespannt, wie sich die rotgrüne Elite in zehn Jahren zur Flüchtlingsfrage äußern werden.
    Ich wette, sie werden wieder ihre typischen Fehlentscheidungen von heute weglügen.

  3. Dieter Fink

    Sehr geehrter Herr Steinhöfel!
    Auch ich danke für Ihren Kommentar. Ich erinnre mich noch wie viele Linke noch ein paar Tage vor dem Mauerfall für die zwei Staatentheorie fochten. Dazu gehörte auch Herr Bahr.
    Es bleibt dabei die Linken sind nicht lernfähig.
    Es gab ca. 53 „linke “ sozialistisch geführte Staaten. Heute je nach dem wie man das sieht zwischen 3 bis 5. Das sagt doch eigentlich alles.
    Bleiben Sie sich treu.
    Gruß
    Fink

  4. Von Nettelbeck

    Besser konnte man es nicht sagen JHerr Steinhöfel.
    Meiner meinung nach war auch die ostpolitik insgesamt ein Fehler.
    Bahr und Konsorten haben Schwäche gezeigt. So etwas wird nie honnoriert.
    Akzeptiert wird vom Gegner nur wenn aus der Stärke heraus verhandelt wird..

  5. … und wie schade, das Stimmen wie Ihre so selten zu hören sind im deutschen „Diskurs“.

    Ohne lllusionen gegenüber die Linken und gegenüber den Kommunismus erst recht, kritisch auch gegen die heutigen Appeaser und Euro-Trickser und dennoch so fern von allen Pegida-, Legida-, Blödgida- und Wutbürgerida-Scheiß wie nur möglich…

    😉

  6. Christof Liechtenstein

    Dabei,wenn ich hinzufügen darf,war Solidarnosc viel eher ein Wegbereiter der deutschen Einheit,als angeblich er.Das passt auch zu seinem Putinismus:

    Über das Schicksal der ost- und ostmitteleuropäischen Völker verhandelt man über ihren Kopf hinweg direkt mit Moskau.

  7. Christof Liechtenstein

    Vielen Dank.Wir wissen ja auch von Klaus Bölling,wie sehr ihm Solidarnosc störte.

  8. backtoroots

    „Das Reich des Bösen“…hat sich daran etwas geändert? Nein! Was sich mal als kommunistisch definiert hat, ist heute ein nationalistisches, faschistoides Konstrukt unter der Führung seines Despoten Putin. Seine Protagonisten und sogen. Freunde aus dem Westen sollten sich schämen, seine internen und externen Umtriebigkeiten weiterhin zu sanktionieren. Sie dienen nur diesem einen Zweck: Machterhalt.