Roulette am Nil

Ägypten: Demokratie oder Iran 1979?

Ägypten: Demokratie oder Iran 1979?

Das Herz des Neokonservativen schlägt höher, wenn er Menschenmassen sieht, die sich gegen ein totalitäres Unterdrückerregime erheben. Und dabei häufig ihr Leben riskieren. Dies war zB nach den manipulierten Wahlen im Iran im Sommer 2009 der Fall. US-Präsident Obama hat sich damals nicht auf die Seite der Demonstranten gestellt, sondern erklärt, es sei nicht opportun für die USA, sich in iranische Angelegenheiten einzumischen. Als wären die Menschenrechte nicht universell. Die Demonstranten, viele wurden von den Mullahs massakriert, fühlten sich von Obama im Stich gelassen. Auf ihre Rufe, ob er auf ihrer Seite stehe oder auf der der Mullahs, hat er durch sein zögerliches Verhalten eine klare Antwort gegeben.

In Ägypten verhält sich die US-Administration anders. In der letzten Woche erklärte Vize-Präsident Biden (immer für einen Kopfsprung ins Fettnäpfchen gut) noch, Mubarak sei kein Diktator und Außenministerin Clinton wusste davon zu berichten, dass die Regierung Mubarak stabil sei. Mittlerweile jedoch fällt Obama einem der ältesten und wichtigsten Verbündeten der USA in der arabischen Welt öffentlich in den Rücken.

Natürlich sympathisiert man auch hier mit den Demonstranten. Natürlich war/ist das Mubarak-Regime autoritär und korrupt. Natürlich war die Presse zensiert, waren die Wahlen ein Witz und es wurden Menschenrechte verletzt. Und die ökonomische Situation für viele Ägypter ist katastrophal. Ein Vergleich mit dem Iran, mit Syrien oder dem Sudan verbietet sich dennoch.

Der Ausgang der Entwicklungen in Ägypten ist völlig unkalkulierbar. Und ebenso unsicher ist jede Prognose, ob es ein Übergreifen der Umwälzungen auf den Jemen, Syrien, Saudi-Arabien, die Golfstaaten oder Jordanien geben wird. Dies wird wohl auch von den weiteren Geschehnissen in Kairo abhängen.

Es gibt optimistische Stimmen für die Chancen einer demokratischen Entwicklung in Ägypten, wie die des von mir hochgeschätzten Amir Taheri .

Ob er allerdings richtig liegt, was ich hoffe, scheint mir fraglich.

Hassen die Ägypter den Westen und seine Werte?

82% der Ägypter befürworten Steinigung bei Ehebruch, 77 % das Auspeitschen und die Amputation der Hand bei Diebstahl. 84% fordern die Todesstrafe für jeden Muslim, der seine Religion ändert. Auf die Frage, ob Sie „Modernisierer“ oder „Islamisten“ unterstützen, lagen die „Islamisten“ mit 59% vor den „Modernisierern“ (nur 27 %). Selbstmordanschläge halten 54% in bestimmten Fällen für legitim. 82% haben eine negative Meinung von den USA, ein höherer Anteil als in Pakistan. Selbst alQaida schneidet mit 72% besser ab, als die Vereinigten Staaten.

Keine Zahlen, die Anlass geben, auf einen friedlichen Wandel in Richtung liberale Demokratie zu hoffen. Und: Wie übersetzt man diese Mehrheiten in Regierungspolitik?

Vor diesem demoskopischen Hintergrund ist Mubarak kein Geschöpf der USA und der allgegenwärtigen Zionisten, sondern vielmehr ein Spiegel der Pathologien der Region (religiöse Intoleranz, Geschlechterdiskriminierung, Stammesdenken, Fundamentalismus, Bildungsferne und Verschwörungstheorien). Jahrzehntelange Indoktrination in Schulen, Moscheen und durch die Medien haben letztlich Konsequenzen. In ägyptischen Schulbüchern ist immer noch zu lesen, dass die USA im 6-Tage-Krieg die ägyptische Luftwaffe zerstört hätten.

Muslim Brotherhood

Die am besten organisierte Oppositionsgruppe ist die Muslim Brotherhood. Rajab Hilal Hamida ist eines ihrer Mitglieder und zugleich im ägyptischen Parlament. Er sieht die Dinge so:

„Meiner Ansicht nach sind bin Laden, al-Zawahiri und al-Zarquawi keine Terroristen im herkömmlichen Sinne. Ich unterstütze alle ihre Aktivitäten, weil sie ein Stachel im Fleisch der Amerikaner und der Zionisten sind…(Andererseits) ist derjenige, der Muslime tötet, kein Kämpfer für den Jihad oder ein Terrorist, sondern ein krimineller Mörder. Man muss die Dinge beim Namen nennen“.

Der Führer der Brüderschaft, Muhammad Ghannem, erklärte dem iranischen Nachrichtensender Al Alam kürzlich, die Bevölkerung solle sich auf einen Krieg mit Israel vorbereiten.

El Baradei – Irans Mann am Nil

Wer an die Stelle des Regimes von Mubarak tritt, ist völlig offen. Der vielerorts als Übergangskandidat gehandelte El Baradei sollte es nicht sein. Als er die Internationale Atomenergie-Organisation leitete, ignorierte er fortgesetzt den Iran belastende Tatsachen die den militärischen Charakter des Atomprogramms belegten und widersetzte sich der Verhängung von Sanktionen gegen das Mullah-Regime. Für ihn ist Israel „die nukleare Gefahr Nummer 1 im Mittleren Osten“. In einem in der letzten Woche mit dem „Spiegel“ geführten Interview erklärte er: „Wir sollten aufhören, die Muslimbruderschaft zu verteufeln…Sie haben seit fünf Jahrzehnten keine Gewalttaten begangen. Wenn wir Demokratie und Frieden wünschen, müssen wir sie einbinden, anstatt sie zu marginalisieren“. Diese Fakten zeigen, wes Geistes Kind El Baradei ist. Und man muss den radikalen Muslimbrüdern schon sehr wohlgesonnen sein, wenn man ihnen die Ermordung Anwar al-Sadats nicht zur Last legt, nur weil sie von einem Mitglied des Muslimbruderschaft-Ablegers Islamischer Dschihad begangen wurde.

Wer mit Israel Frieden schließt oder dies versucht, begibt sich in Lebensgefahr: siehe Sadat, Bashar Gemayel (Libanon, ermordet), der jordanische König Abdallah I (ermordet).

Präzedenzfälle

Entweder wird sich das Regime in Ägypten retten. Und zwar ohne Mubarak und ohne die Aussicht auf seinen Sohn als seinen Nachfolger und mit dem Militär als stablisierendem Faktor einer Übergangsphase bis zu den Wahlen im Herbst. Oder die Macht steht zur Disposition. Für die zweite Variante sind dies die Präzedenzfälle:

  • Die iranische Revolution 1978/79. Khomeini gewann, Ahmadinedschad ist heute Präsident.
  • Die Zedern-Revolution im Libanon. Heute ist ein Mitglied der Terrororganisation Hisbollah Regierungschef.
  • Die Wahlen der Palästinenser. Die Terrororganisation Hamas gewann im Gaza-Streifen und terrorisiert die Bevölkerung und das benachbarte Israel.

Das es im Irak anders lief, ist im Kern der Anwesenheit der US-Armee zu verdanken.

What’s at stake

Ägypten ist von enormer Bedeutung für die strategischen Interessen der USA im Nahen und Mittleren Osten. Es ist das grösste arabische Land und neben Jordanien das einzige, das einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen hat. Für die USA und die Region steht hier alles auf dem Spiel. Die Chancen auf eine antiamerikanische, islamistische Regierung sind gegeben. Die Folgen für die Region wären katastrophal.

Als Konsequenz des ungeschickten Taktierens der Obama-Administration, die ihre gesamten Ressourcen in die Verhinderung des Baus von Apartment-Häusern in Ost-Jerusalem investiert hat, besteht im Mittleren Osten jetzt eine Wahrnehmung der USA als unzuverlässiger Freund und harmloser Gegner. Wünschenswert wäre das genaue Gegenteil. Autoritäre Regierungschefs wie Mubarak müssen weichen. Aber sie sind gegenüber den Islamisten jederzeit zu bevorzugen. Die Art und Weise, wie Obama Mubarak hat im Regen stehen lassen, wird von den anderen amerikanischen Alliierten oder strategischen Partnern in der Dritten Welt als symbolischer Betrug an ihnen allen interpretiert (Avi Shavit in „Haaretz“). Jeder versteht die Botschaft. Das Wort der USA ist wertlos, ein Bündnis mit den Vereinigten Staaten ist unzuverlässig. Dann sucht man sich halt neue Freunde. In Russland, in China, oder, als Regionalmächte Brasilien, die Türkei oder den Iran.

Bedenkt man, wie diffus die Opposition in Ägypten derzeit noch ist, bleibt zwingend offen, auf wessen Seite die USA jetzt stehen. Natürlich, wie jeder von uns, auf Seiten von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit. Aber welche Person, welche Gruppe repräsentiert dies in diesem Moment in Ägypten? Diese Frage kann derzeit nicht beantwortet werden. Obama spielt Roulette. Roulette am Nil. Beten wird, dass, wenn „nichts mehr geht“, die Kugel nicht im Feld eines Khomeini-Nachfahren liegen bleibt.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2011

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Kommentare

  1. crackerjack

    @dox

    …cracker ein problem? LOL. Nu denn!

    Das thema todesstrafe hat nicht cracker in den ring geworfen.

    dox am 3.11

    Ist es nicht ein himmelweiter Unterschied, ob man (..die iranishen aufständischen), gegen ein System protestiert, das die Steinigung befürwortet oder gegen ein System, das die Befürworter der Steinigung (..die ägyptischen aufständischen), in Schach hält?

    Und auf gehts zum fröhlichen differenzieren und qunatifizieren…..

    Die iranische revolution bezeichnet sich als „grüne“ revolution, nicht wegen irans grüne baüme , sonder weil grün die farbe des propheten ist. Ein form des iranischen protests ist es nächtelang koran suren von den dächern der stadt zu proklamieren. Wer glaubt das die iranischen aufständischen den islam abschwören, irans atomprogram aufgeben und zionismus umarmen werden leidet unter realitätsverlust.

    Die ägyptische revolution war bisher eine hungerrevolte und hat bislang keinelei ideologische ausrichtung gezeigt. Die aufständischen jetzt auf steinigungs befürwörter zu reduzieren um das regiem als notwendiges übel zu legitimieren ist aber schon mehr als realitätsverlust. Hier wird mit den angst- kampfbegriff „steinigung“ schindluder getrieben und das auf dem rücken von millionen mitmenschen die gerade um ihre grundlegensten menschenrechte kämpfen.