Deutschland: Zweite Klasse? Was sonst?

© Thomas M. Eppinger, 6.7.2013:

Edward Snowden hat laut eigener Aussage nur deshalb für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet, um die durch seine Tätigkeit gewonnenen Informationen zu verraten. In jedem Land der Welt wäre dies ein Fall von Hochverrat, jedes Land der Welt würde alle in seiner Macht liegenden politischen, diplomatischen und rechtlichen Mittel ergreifen, um ihn vor Gericht zu stellen.

In diesem Zusammenhang von Menschenjagd zu sprechen oder die Fahndung nach ihm gar mit der Fatwa gegen Salman Rushdie zu vergleichen (wie heute auf Facebook gelesen), ist ebenso obszön wie heuchlerisch. Obszön, weil der Vergleich die legale Verfolgung eines vermutlichen Straftäters mit einem weltweiten Mordaufruf gegen einen Schriftsteller gleichsetzt. Heuchlerisch, weil niemand von den vermeintlichen Enthüllungen Snowdens überrascht sein kann.

Zweite Klasse. Was sonst?

Dass nun ausgerechnet Deutschland jammert, von Amerika als Partner zweiter Klasse behandelt zu werden, ist mehr als lächerlich. Was denn sonst?

Die intellektuelle Elite dieses Landes hat sich nach 9/11 gegenseitig darin überboten, die Täter zu exkulpieren und Amerika und den kapitalistischen Westen als wahre Schuldige am tausendfachen Mord zu entlarven. Je nach Anlass werden jeden Tag Amerika, Israel, der Kapitalismus oder überhaupt „der Westen“ für alles Unbill dieser Welt verantwortlich gemacht. George W. Bush war hierzulande jahrelang der wohl meistgehasste politische Repräsentant der Welt. Nicht Kim Jong Il, nicht Mahmud Ahmadinejad, nicht Slobdan Milosevic und all die anderen Unterdrücker und Schlächter ihrer Völker. Und schon gar nicht Wladimir Putin, der lupenreine Demokrat. Der deutsche Mainstream in Politik und Feuilleton ist amerikafeindlich und antisemitisch. Die deutsche Elite kotzt sich seit eh und je gegen Amerika aus. Und jetzt jammert sie, weil sie von den USA nicht als best friend verortet wird?

Wer solche Freunde hat, braucht keine Feinde mehr. Würde die NSA einen solchen Staat nicht beobachten, würde sie ihre Pflicht verletzen.

Umgekehrt ist es die Aufgabe des BND, die Abhörung von Telefonaten und E-Mails der politischen und wirtschaftlichen Elite Deutschlands zu verhindern. Sollten die deutschen Dienste dazu nicht in der Lage sein, wäre dies der eigentliche Skandal. Was übrigens niemand glauben sollte: die deutschen Dienste haben die Erkenntnisse ihrer amerikanischen Kollegen immer schon genutzt und man kennt einander gut. Wer glaubt, dass ungeschützte Mails und Telefonate vertraulich seien, möge zB „Echolon“ und „Carnivore“ googeln.

Den Empörten geht es nicht um Freiheit oder den Schutz der Privatsphäre. Sonst würden sie mit gleicher Vehemenz dagegen auftreten, dass der Staat gestohlene Daten vermeintlicher Steuersünder kauft und als oberster Hehler seinen Handlangern nicht nur Straffreiheit gewährt, sondern auch ein Leben als Germany’s Next Millionaire ermöglicht. Oder behauptet jemand ernsthaft, dass Ulli Hoeness eine größere Bedrohung als Al Quaida darstellt?

Schäbige Verniedlichung

Besonders unappetitlich wird die öffentliche Empörung, wenn die NSA mit der Stasi vergleichen wird. Der Unterschied ist offensichtlich: die Stasi diente einem totalitären Regime. Ihr Blockwart-System hat sich dadurch ausgezeichnet, dass jeder – Familie und Freunde eingeschlossen – jeden überwacht hat. Die beinahe lückenlose Durchdringung des Privaten durch staatliche Spitzel war das Charakteristikum der Stasi, nicht die Aufzeichnung, wer wann mit wem telefoniert hat. Beides gleichzusetzen, passt zur schäbigen Verniedlichung der zweiten deutschen Diktatur in Kunst, Kultur und Feuilleton.

Wenn zwei das gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Auch wenn man das hierzulande nicht gerne hört, weil es den „wir sind alle Opfer“ Mythos stört: es ist nicht dasselbe, ob man im Zweiten Weltkrieg Soldat der deutschen Armee war oder Soldat der Alliierten. Es ist nicht dasselbe, ob man im Kalten Krieg für den amerikanischen Geheimdienst gearbeitet hat oder für den russischen. Und auch heute ist der Unterschied zwischen NSA und Stasi mindestens groß wie der zwischen New York und Leipzig.

Den Assanges und Snowdens geht es nicht um den Schutz von Freiheit oder Privatheit. Es geht ihnen ausschließlich darum, die Position des Westens zu schwächen. Wem sie damit dienen, mag man daran ableiten, in welchen Ländern sie Schutz suchen. Auffällig ist jedenfalls, dass die Linke ihre Lieblingsfrage nach dem „cui bono“ in diesen Fällen nicht stellt. Honi soit, qui mal y pense.

Wimmerl auf Facebook teilen

Als Verfechter eines schwachen Staats muss man gegen die Macht der Geheimdienste antreten. Aber wer sein Land verrät, ist kein Whistleblower sondern ein Verräter. Und wer freiwillig jedes Wimmerl im Arsch mit seinen Facebook Freunden teilt, braucht sich über den Schutz seiner Privatsphäre ohnehin keine Sorgen zu machen.

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Kommentare

  1. Tach, Herr Eppinger.

    Ich fand Ihren Artikel reichlich spät, doch fühle mich immer noch angesprochen, weil ich letztes Jahr einen Blog-Artikel mit dem Titel „Die Snowden-Fatwa“ geschrieben hatte … und naja, da falle ich ja sicher in eine der Zielgruppen Ihres Artikel 🙂

    Ja, freilich ist der Dschihad äußerst radikal, was die Verfolgung Andersdenkender anbetrifft, doch dafür sind die Amerikaner nicht gerade zimperlich bei der Erobeberung neuer Märkte … Zitate gefällig?

    Nummer 1:
    „Alle zehn Jahre sollte die USA irgendein kleines dreckiges Land packen und es gegen die Wand schmeißen, nur um zu zeigen, dass wir es ernst meinen.“
    („Every ten years or so, the United States needs to pick up some small crappy little country and throw it against the wall, just to show the world we mean business.“)

    Michael Leeden – in diversen („neokonservativen“) Think Tanks vertreten

    Nummer 2:
    „The hidden hand of the market will never work without a hidden fist – McDonald’s cannot flourish without McDonnell Douglas, the builder of the F-15.“
    Thomas L. Friedman – Publizist

    Mit anderen Worten: Sie scheinen mir den Teufel mit dem Pelzebub austreiben zu wollen.

    Zudem … ich bin zwar der Meinung, dass sich Snowden auch stellen könnte, denn dann würde es einen Prozess geben … doch halte ich diese Idee mittlerweile für recht naiv, weil ich nicht an eine unabhängige, unbefangene US-Justiz glaube, zumindest nicht in diesem Fall. Und was mit Bradley Manning passierte, brauche ich Ihnen ja sicher nicht zu erzählen …

    Alles in allem: freilich kann man Snowden als Verräter sehen … keine Frage. Doch was bitte schön ist Recht?

    Naja, Sie haben dazu sicher eine/Ihre (Juristen-?)Meinung, ich zitiere mal Theodor Storm an dieser Stelle:
    „Der Eine fragt: was kommt danach? // Der Andre fragt nur: ist es recht? // Und also unterscheidet sich // Der Freie von dem Knecht.“

    Sie können sich Ihre Kategorie gern selbst raussuchen, Herr Eppinger 🙂

    Alles Gute, auch beim Artikelschreiben … M. Winkler, Dresden

  2. Dieter Fink

    Daß ausgerechnet die Linke ( aller Schattierungen ) , die sonst für die totale Totalüberwachung ist, nun das Banner der Freiheit schwenkt passt zur schizophrenen linken Theorie .

  3. max

    Staaten (oder besser gesagt Behörden) sind keine Freunde. Zumindest nicht meine. Sie sind ein notwendiges Uebel, das nach Möglichkeit zu begrenzen ist. Und nein, selbstverständlich finde ich es nicht toll, von irgendwelchen Beamten überwacht zu werden. Weder von amerikanischen, noch von irgendwelchen
    Anderen.

    Was mich allerdings besonders anödet, ist die gespielte Ueberraschung der üblichen Verdächtigen. Leute, die mich verarschen wollen, mag ich nämlich noch weniger, als Leute die mich überwachen wollen.

  4. Karl Eduard

    Lieber @max, der Vergleich von Geheimdiensten mit Hunden, die ihren Pimmel lecken, soll wohl andeuten, daß die zwanghaft andere auspähen müssen. Heißt das jetzt, daß der Zwang, weil er gottgegeben ist, hinzunehmen ist und sogar zu gefallen hat? Ja, und wenn gar nichts mehr hilft, dann wird der Antiamerikanismus ins Feld geführt.

    Ich habe nicht umsonst die Metapher vom Freunde gebraucht, der unsere Post liest und uns im Schlaf- und Badezimmer beobachtet. Wie würde Ihnen das, so ganz privat, gefallen. Und, würden sie den, nachdem das aufgeflogen ist, immer noch einen Freund nennen? Jetzt könnte natürlich der lächerliche Einwurf kommen, daß der das zu meinem Schutz tut. Dann soll er mich aber vorher fragen. Ob ich will, daß er mich beschützt, in dem er liest, was mir andere schreiben und wie ich dusche, auf dem WC sitze oder was ich in meinem Bett so treibe. Es mag ja Leute geben, die werden gerne bei ihren intimsten Verrichtungen beobachtet, die Masse des Volks dürfte etwas dagegen haben.

  5. max

    Es fehlt nur noch wenig, und der gute Snowden wird vom deutschen Mainstream heilig gesprochen. Verhindern könnte das nur noch, wenn raus kommt, dass er Steuern hinterzogen hat. Denn dann ist es aus mit der Gemütlichkeit in Deutschland. Dem Land, in dem Politiker Kriminelle anheuern, um in einem Nachbarland Banken auszuspionieren. Dem Land, dass es in diesem Bereich eigenartigerweise mit dem Schutz der Privatsphäre nicht ganz so genau nimmt.

    Und, lieber Karl Eduard, es ist genau umgekehrt. Wenn so etwas über die Russen oder Chinesen herausgekommen wäre, hätte es in Deutschland genau kein Schwein interessiert. Für den Skandal braucht es den deutschen genuinen Antiamerikanismus dann doch noch. Abgesehen davon, wer glaubt, dass alle nicht erwähnten Geheimdienste dieser Welt irgendwelche Skrupel haben, in die Privatsphäre von Personen einzugreifen, der glaubt noch an den Storch. Die machen alles, was in ihren technischen und finanziellen Möglichkeiten steht.

    Auf die Frage, wieso die das tun, ist die Antwort die selbe, wie auf die Frage, weshalb Hunde ihren Pimmel lecken: weil sie es können.

  6. Karl Eduard

    Es ist schon erstaunlich, wie verteidigt wird, daß der Freund die Post mitliest und im Bade – und Schlafzimmer eine Kamera installiert hat. Also in unserem Bade – und Schlafzimmer. Gut, das ist irgendwie naja aber, stellen wir uns mal vor, das würde der Russe machen oder der Chinese! Na, da würden wir uns aber empören und ekeln und schämen, in Gedanken daran, was wir alles so unternommen haben und der Russe oder der Chinese haben das live mitgesehen!

    Aber mit unserem Freund, da ist das was anderes. Wir kennen ja dessen Hang zum Voyerismus und müssen damit leben. Gerne tun wir es außerdem. Denn wozu sind Freunde da, außer, einen zu bespitzeln. Bespitzeln ist vielleicht ein zu hartes Wort. Überwachen und Beobachten ist besser. Außerdem, wir haben ja nichts zu verbergen. Nicht?

    Das mit dem Snowden. Erst einmal hat er ja nicht unsere Geheimnisse verraten. Und dann bekommt jeder Seeräuber oder Topterrorist bei uns Asyl. Was der Snowden versäumt hat, ist wahrscheinlich, jemanden umzubringen. Oder den Sturz irgendeiner Regierung zu planen. Oder ein Massaker. DAs war eindeutig ein Fehler.

  7. laser

    susi… +1

    Nicht zu vergessen von wo die Idioten von 9/11 kamen,
    auf gar kein Fall zweifeln wo die meiste ähnliche Idioten sich tummeln(auf meine kosten übrigens).
    Daher auch verstärkte Überwachung Deutschlands,wem wundert-richtig so.
    Mich interessiert mehr an wessen Anweisungen westliche Europa und Rest der Welt mit solchen inkompatiblen Idioten überflutet werden.
    Daher finde Überwachung von „gesamten“ Bevölkerung,persönlich – pervers,weil man ganz genau weißt von wo die Gefahr kommt,nur ein naiver denkt nicht dabei an ein Zusammenhang,man muß nicht unbedingt ein linker sein.
    Und wenn ein „echter“ CIA man weg läuft und sich Ofenbart,im unterschied zu verdeckten CIA man J.Assange mit seiner ‚Viel Lärm um nichts Seite‘,und Ofenbart zwar nicht nur an s.g.’Feind‘ aber an ganze Welt und mich,so daß es sogar Hussein schlecht wird,finde Ich persönlich SEHR gut.Leider hat sich Deutschland wie immer komplett blöd aufgestellt und als peinlich erwiesen.
    Trotz AMERICA Loyalität muß man doch nicht anfangen American political-correct zu werden,sonst kommen Sie,Hr.JS mit einer liebes Erklärung an Obama morgen;_))))

  8. Gudrun

    Sehr geehrter Herr Steinhöfel,

    Sie stellen hier einen Popanz in den Raum (Snowden werde „irgendwo auf FB“ mit Rushdie verglichen), um dann mit ebenso zugespitzten Thesen zu kontern.
    Bloß: wenn das erste Argument schon ein Gesuchtes ist, ist es die Erwiderung nicht weniger.

    Natürlich ist bsp. Stasi nicht gleich NSA. Aber: NSA VERHÄLT sich möglicherweise wie die Stasi, wenn sie im Datensammeln kein Maß und Gesetz hält.

    Also denke ich, wer Ihrer Argumentation folgt sucht sein Heil in radikalen Analysen, weil die Wirklichkeit leider oft komplex ist.

    Anmerkung: Der Text stammt nicht von mir, sondern von Thomas Eppinger. Allerdings unterschreibe ich jedes Wort.

  9. freiheitsucher

    Jeder Satz in diesem Kommentar stimmt. Auch die Bundeskanzlerin Merkel weiß das. Ihr Geschwätz von der Freundschaft mit den USA ist nur WahlTaktik und verlogene Wahl Taktik dazu.

  10. Assange und Snowden sind Zeitgenossen, die sich anmaßen, den absoluten gutmenschlichen Durchblick zu haben. Die Vielzahl der deutschen Steuersünder zeigt nur den Mangel an Vertrauen in die deutsche Politik. Und die amerikanische und deutsche Überwachung schützt uns vor einem Terror, dem wir seit etlichen Jahren ausgeliefert sind. Assange und Snowden sind Staatsfeinde, auch wenn eine Vielzahl von Bürgern das oberflächlich betrachtet und daher nicht begreifen kann.

  11. susi bibelmaus

    Sehe ich ganz anders.

    Ihre Empörung der Gleichsetzung von NSA und Stasi: Was die Stasi einst mit Papier und Bleistift auf Karteikarten zusammentrug um Lebensbiografien zu überwachen oder zu zerstören toppt heute die automatisierte Datensammelei gleich tausendfach. Hier werden eben auch lückenlose Charakteristika und zwar Weltweit gleich millionenfacher Bürger ausspioniert. Und das eben auch ohne deren Wissen und Einverständnis.

    Um was es den Assanges und Snowdens nach ihrer Ansicht vorzüglich geht: Na klar, in der Diskreditierung und Verächtlichmachung all der aktuellen und potentiellen Assanges und Snowdens schon mal die kriminellen selbstherrlichen Machenschaften der Großen Spione entkriminalisieren um so den Boden für eine integere Überwachungsnormalität zuzubereiten um ungestört in den Häusern der Bürger schnüffeln zu können

    Und was dem Totschlaginstrument jener Amerikafeindlichkeit angeht: Die Staaten, die uns 1945 von Wahnsinnigen Massenmördern befreit haben, sind heut nicht mehr die von einst. Da hat sich seitdem eine ganze Menge an der Justierung von Wertigkeit und Rechtsstaatlichkeit der USA verändert. Das sollte jeder zur Kenntnis nehmen.

    susi

  12. moguffel

    Das erstaunliche ist, das lange vor 9/11 schon bekannt war, das zumindest die Briten alles abhören oder mitlesen konnten was an Datenverkehr über ihr Land lief. Gelesen habe ich das damals in irgendeiner Computerzeitschrift. Und wenn die Briten das damals konnten, liegt doch die Vermutung nahe, das die Amerikaner das ebenso schon konnten.
    Aufgeregt hat sich damals aber keiner….

  13. bertony

    Die intellektuelle Elite dieses Landes …

    Es ist falsch von einer intellektuellen Elite zu sprechen. Deutschland hat keine intellektuelle Elite, Deutschland hat eine pseudointellektuelle Elite, eine Ansammlung von Dumpfbacken, Vollpfosten und Hirnlosen, die es geschafft haben, sich in hohe Ämter zu schwadronieren.