WDR will Eindruck der Voreingenommenheit zuvorkommen

Es gibt im deutschen Journalismus kaum ein kurioseres Format als den „Kommentar“ bei den „tagesthemen“. Gleich gefolgt von der „tagesschau“, einer antiquierten Sendung, in der Sprecher vom Zettel ablesen, was am jeweiligen Tag passiert sein soll. Ich will jetzt gar nicht erst davon anfangen, dass sich selbst die „Faktenfinder“ dieser Sendungen wiederholt vor Gericht verantworten mussten, weil es bei der Suche nach Fakten gelegentlich in justiziabler Weise hapert.

Im besagten „Kommentar“ nun werden dem perplexen Zuschauer in aller Regel textbausteinartig zusammengestückelte Banalitäten mit staatstragender Mine zugemutet. Gebührenfinanzierte Gedankenarmut.

Eine der vielen Untiefen in diesem trägen Gedankenfluss intellektuellen Niedrigwassers war der Auftritt des Schriftführers der Grünen in Grevenbroich, Detlef Flintz vom WDR. Eines Mannes also, der qua Amt ganz maßgeblichen Anteil an den Geschicken der Regierungspartei hat. Flintz kommentierte im Oktober 2021 in den „tagesthemen“: „Er ist da, der Preisschock – gut so“. Denn nur so, führte der Redakteur dann sinngemäß weiter aus, werde der Konsum verringert, was dann wiederum der Umwelt zugutekäme. Das darf er so sehen, denn auch ungewöhnliche Positionen sind von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Bei seinen Parteifreunden ist Flintz jetzt garantiert eine große Nummer. Ob er den wichtigen Schriftführerposten vor oder erst wegen des Kommentares erhalten hat, weiß ich nicht. Auf jeden Fall, ich möchte es einmal neutral formulieren, haben sehr viele Menschen seinen Kommentar kommentiert. Der WDR aber zieht jetzt „Konsequenzen“. Cancel Culture gegen Grün? Ein Unding. In der Welt lese ich:

„Der WDR selbst teilte der dpa mit: ‚Im Wissen um das kommunalpolitische Engagement des Kollegen orientieren wir uns künftig auch in seinem Fall an unserem Verhaltenskodex. Im Ergebnis werden wir ihn nicht mehr für Meinungsbeiträge zu Themen vorschlagen, bei denen der Eindruck der Voreingenommenheit entstehen könnte.‘“

Auf die Idee, der WDR könne bislang irgendwo auch nur im Ansatz den „Eindruck der Voreingenommenheit“ erweckt haben, ist sicherlich noch nie jemand gekommen. Man wehrt also den Anfängen.

Was darf Herr Flintz jetzt noch kommentieren? Gibt es irgendein Thema, das Gegenstand eines Kommentares in den „tagesthemen“ sein könnte, zu dem die Grünen keine parteipolitische Position haben? Natürlich nicht. Also jetzt komplettes Kommentarverbot, ein teilweises Berufsverbot fast?

Ich finde diese Maßnahmen indiskutabel. In einem freien Land darf auch jemand, der ein subalternes Amt bei einer Partei innehat, als Journalist seine Meinung sagen. Der Kommentar ist doch sowieso nichts als Meinung. Fängt das Kommentarverbot erst an, wenn man ein Amt, und sei es noch so belanglos, innehat? Warum nicht schon dann, wenn man Parteimitglied ist? Diese Frage zeigt doch, wie lächerlich der Aktionismus des WDR ist. Als würde ein mickriges Amt die „Voreingenommenheit“ begründen, eine Parteimitgliedschaft aber nicht.

Sind parteipolitische Mitgliedschaften beim WDR anzugeben? Nein. Das wäre wohl auch rechtlich problematisch.

Hat man überlegt, etwaige Mitgliedschaften bei „Kommentatoren“ der „tagesthemen“ in dem Profil des Mitarbeiters anzugeben? Ich glaube nicht.

Diente das der Transparenz? Ich finde schon.

Sind sie, wenn es die richtigen sind, beim beruflichen Fortkommen im WDR förderlich? Eine rhetorische Frage.

Möglicherweise ist sowieso ein Großteil der Bevölkerung der Meinung, dass der WDR seinen Spitznamen redlich verdient und erwartet von vornherein keine klugen oder abgewogenen sondern nur von Voreingenommenheit gesättigte Kommentare. Man kann das auch politische Überzeugung nennen. Diese Überzeugung ist nicht das Problem, man findet sie bei jedem politisch denkenden Menschen. Einen Politikjournalisten ohne politische Überzeugung gibt es nicht. Das Problem ist, wenn eine überwiegende Mehrheit eine Überzeugung haben muss, um überhaupt zu Wort zu kommen.

Ich halte die Sanktionierung von Herrn Flintz für falsch. Sie ist auch deshalb so töricht-aktionistisch, weil damit der Eindruck erweckt werden soll, als würden andere Kommentatoren nicht ebenso „voreingenommen“ sein (das ist die Vokabel vom WDR). Und das nimmt dem Flintz-Funk sowieso niemand ab.

„Der ÖRR ist eine Verfassungsinstitution für die gesamte Gesellschaft – finanziert von der gesamten Gesellschaft. Er ist per Verfassungsauftrag staatsfern, unabhängig und vielfältig. Genau das braucht eine Gesellschaft, die droht auseinanderzufliegen – gerade in dieser Zeit“, so Georg Restle am 02.08.2022 auf Twitter. Und der muss es ja schließlich wissen.

Warum schafft man den „Kommentar“ nicht einfach ab? Dass wäre doch ein beherzter erster Schritt in die richtige Richtung. Oder die Grünen bezahlen die Kommentare zukünftig wie Werbespots. Es muss dann nur ein kleiner Einblender „Dauerwerbesendung“ her. Denn wie heisst es so schön im Pressekodex:

„Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen

Bezahlte Veröffentlichungen müssen so gestaltet sein, dass sie als Werbung für den Leser erkennbar sind. Die Abgrenzung vom redaktionellen Teil kann durch Kennzeichnung und/oder Gestaltung erfolgen. Im Übrigen gelten die werberechtlichen Regelungen.“

Jetzt, wo jeder weiss, dass Herr Flintz Schriftführer bei den Grünen in Grevenbroich ist, kann der WDR ihn ruhig wieder ranlassen. Jeder kann dann seine Kommentare einordnen, wie es so schön heißt. Konnten die Zuschauer vorher auch schon. Flintz bildet übrigens bei der Medienakademie von ARD und ZDF auch Nachwuchsjournalisten aus. Damit es bei der Verfassungsinstitution WDR auch weiter so schön staatsfern, unabhängig und vielfältig zugeht wie bisher.

 

 

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