Wirkungstreffer gegen europäische Verfassung

Was die Europäer von Europa halten, haben sie mit ihrer Wahlbeteiligung zur Europawahl deutlich gemacht. Historischer Tiefstand, 42,9 Prozent. Instinktiv hat der Souverän damit das vorweggenommen, was das Bundesverfassungsgericht heute in seiner Entscheidung über den „Lissabon-Vertrag“ (die europäische Verfassung) über das Europaparlament zu sagen hatte:

Das Europäische Parlament ist weder in seiner Zusammensetzung noch im europäischen Kompetenzgefüge dafür hinreichend gerüstet, repräsentative und zurechenbare Mehrheitsentscheidungen…zu treffen. Es ist gemessen an staatlichen Demokratieanforderungen nicht gleichheitsgerecht gewählt und..nicht zu maßgeblichen politischen Leitentscheidungen berufen. …Angesichts dieses strukturellen, im Staatenverbund nicht auflösbaren Demokratiedefizits dürfen weitere Integrationsschritte über den bisherigen Stand hinaus weder die politische Gestaltungsfähigkeit der Staaten noch das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aushöhlen.“ Hervorhebung durch den Autoren.

Heute, am Tag der Verkündung der Entscheidung zum Lissabon-Vertrag, wird die politische Elite erneut von einem „Sieg für Europa“ fabulieren. Und den Zuschauern dabei frech ins Gesicht lügen. Eigenartig auch, wenn man bedenkt, dass das Verfassungsgericht dessen Ratifizierung untersagt hat:

Die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zum Vertrag von Lissabon darf solange nicht hinterlegt werden, wie die von Verfassungs wegen erforderliche gesetzliche Ausgestaltung der parlamentarischen Beteiligungsrechte nicht in Kraft getreten ist.“ Hervorhebung durch den Autoren.

Das Urteil ist ein Schlag ins Gericht der Europabefürworter in Politik und bei den Euro-Eliten in Brüssel und Straßburg. Das Gericht moniert die „stetig und erheblich gewachsene“ Übertragung staatlicher Gewalt von den Nationalstaaten an Brüssel an den demokratisch legitimierten Regierungen der Mitgliedsländer vorbei. Nur unter Aufhebung der europäischen Nationalstaaten, der Auflösung der Bundesrepublik und der Gründung eines Bundesstaates (Vereinigte Staaten von Europa quasi), verbunden mit einer „Verfassungsneuschöpfung“, könnte der eingeschlagene Weg weiter gegangen werden.

Im Wesentlichen hat das Gericht entschieden, „dass die europäische Integration nicht zur Aushöhlung des demokratischen Herrschaftssystems in Deutschland führen darf“. Daher ist das – absurd betitelte – „Gesetz über die Ausweitung und Stärkung des Bundestages und Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“ verfassungswidrig. Begründung: Das Gesetz begrenzt und schwächt Bundestag und Bundesrat in Angelegenheiten der Europäischen Union in verfassungswidriger Weise.

Die EU beruht auf der historisch gewachsenen Überzeugung, dass alles Übel vom Nationalstaat ausgehe. Dessen Schwächung und Aushöhlung sei daher zugunsten eines Zentralstaates zu betreiben. Im Wege der Harmonisierung sollen dann regionale und nationale Eigenheiten „harmonisiert“ werden. Mangels Mehrheitsfähigkeit dieses Vorhabens wurde der frühere französische Präsident Valéry Giscard d’Estaing – hochmütig auch bei Anlegung der Standards für französiche Präsidenten – damit beauftragt, eine europäische Verfassung auszuarbeiten. Es darf als sicher gelten, dass dieses unlesbare Konvolut von etwa 500 Seiten von der Mehrheit der europäischen Staatschefs nicht gelesen wurde – einige haben dies bereits eingeräumt.

Giscard hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass es gerade der Sinn seines konstitutionellen Textes war, unlesbar und unverständlich zu sein. So konnte vor dem einfachen Bürger verborgen bleiben, welche Stoßrichtung das Werk hatte. Trotzdem wurde die „Verfassung“ in Volksabstimmungen in Frankreich und Holland abgelehnt.

Aber die Eurokraten hatten gelernt. Als „Vertrag von Lissabon“ kam der weitestgehend unveränderte Text erneut auf den Tisch, nur diesmal ohne den Souverän um seine Zustimmung zu bitten, der womöglich erneut eine „falsche“ Entscheidung treffen könnte. Genau wie unser Verfassungsgericht jetzt, entschieden irische Gerichte, dass ein erheblicher Transfer nationaler Souveränität nach Brüssel stattfinde. In Irland sei daher ein Referendum erforderlich.

Und die Iren stimmten ab – mit dem bekannten Ergebnis. Die diesem Ausdruck demokratischer Souveränität folgende Einschüchterungskampagne Brüsseler Bürokraten und europäischer Staatschefs gegenüber den Iren war ein atemberaubendes Schauspiel gelebten Demokratieverständnisses von abgehobenen, arroganten Eliten. Die noch weitergehende Aufgabe nationaler Identität und die noch weiter gehende Verlagerung von Kompetenzen nach Brüssel ist – unter verfassungswidriger Umgehung der nationalen und demokratisch legitimierten Parlamente – in Europa nicht mehrheitsfähig. Die Führer in Brüssel und den jeweiligen Hauptstädten glauben, sie könnten diesen Weg über den Kopf ihrer Bevölkerung hinweg gehen und einen neuen Mega-Staat ohne die Billigung der Regierten regieren. Sie erwecken dabei vermehrt den Eindruck, als gehörten sie einer Gruppe von Verschwörern an, die dem Ziel nacheifern, missliche demokratische Kontrolle soweit wie möglich zu begrenzen. Der von Bürokraten und Eliten dominierte paternalistische europäische Mega-Staat würde Fliehkräften seiner bevormundeten Bürger ausgesetzt sein, denen er nicht standzuhalten vermöchte.

Das Verfassungsgericht hat aus dem wahnhaften Vorhaben heute erst einmal die Luft herausgelassen.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2009

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Kommentare

  1. Am 8. Sept. wurde das neue Lissabongesetz im Bundestag verabschiedet!

    http://www.eu-vertrag-stoppen.de/ schreibt:

    „446 Bundestagsabgeordnete stimmten mit Ja, 2 Enthaltungen,
    44 von der Linkspartei vorbildlich mit Nein, 2 Fraktionslose auch!
    117 haben überhaupt nicht abgestimmt! Warum nicht?

    Abstimmungsergebnisse:
    http://www.bundestag.de/bundestag/plenum/abstimmung/20090908_lissabon.pdf

    In den Medien wird dieses neue Gesetz überhaupt nicht thematisiert und wenn dann nur als Randnotiz. Auch die konservativen Blogger scheinen das Thema übersehen zu haben…

    Herr Steinhöfel, was halten Sie von diesem „Entwurf eines Gesetzes über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des
    Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“?

    MMnews schreibt dazu:

    Bundestag peitscht Todesstrafe durch
    Von Andreas Popp
    Donnerstag, 17. September 2009
    Lissabon-Vertrag wurde „unbemerkt“ während des Wahlkampfes durchgepeitscht. Der Vorgang fand am 26.08.09 und am 08.09.09 in drei Lesungen und Abstimmungen statt. Mit dem Schnellschuss der soll offensichtlich Druck auf die Irrländer ausgeübt werden.
    Eine unglaubliche Bundestagslesung ist gegen die Bürger unserer Heimat hinter den Kulissen des Wahlkampfes abgehakt worden. Der Vorgang fand am 26.08.09 und am 08.09.09 in drei Lesungen und Abstimmungen statt.
    Die eindeutige Schlechterstellung der Deutschen auf vielen Ebenen war den Mainstream-Medien nur ein paar Nebenzeilen wert, die der „Normal-bürger“ kaum realisierte.
    Soweit zur „freien Presse“…!“

    Weiter unter http://www.mmnews.de/index.php/200909173776/MM-News/Bundestag-peitscht-Todesstrafe-durch.html

    sonstige Links::

    http://alles-schallundrauch.blogspot.com/2009/09/irland-irland-please-say-no.html

    Wollt ihr den totalen EU-Staat?! http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=14223

  2. Hallo Leute, habt ihr eigentlich auch für den Lissabonvertrag gestimmt? Ach quatsch wir wurden ja gar nicht gefragt. Schon witzig, das die Bundesregierung das Grundgesetz aufheben und uns der EU zum Frass vorwerfen will. Noch ist der Vertrag nicht unterschrieben, hoffen wir das es dabei bleibt.

  3. Arent

    „würde Fliehkräften seiner bevormundeten Bürger ausgesetzt sein, denen er nicht standzuhalten vermöchte“

    Das ist ja so falsch nicht, genau diese ‚Fliehkräfte‘ hat man historisch in jeder Form von multikulturellen Staaten beobachtet. & genaugenommen stellen sie sogar in den modernen Nationalstaaten ein genügend grosses Problem da (Beispielsweise der Versuch gewisser Parteien Ost gegen West auszuspielen). Historisch gesehen haben diese Fliehkräfte immer zu Diktaturen & einem späteren Auseinanderbrechen dieser Staaten geführt. Eine Einschränkung von Demokratie von vornherein ist eigentlich nur folgerichtig wenn man den Standpunkt vertritt dass Demokratie nur in gut funktionierenden Nationalstaaten erfolgreich sein kann bzw. ein multikultureller Staat nur durch eine Diktatur am Auseinanderbrechen gehindert werden kann. Interessant auch die Meinung Helmut Schmidts:

    de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Schmidt#Gesellschaftspolitik

    „Die multikulturelle Gesellschaft bezeichnet Helmut Schmidt als „eine Illusion von Intellektuellen“.[23] Mit einer demokratischen Gesellschaft sei das Konzept von Multikulti schwer vereinbar, so Schmidt.“

    Grüsse,

    Arent

  4. Albrecht Klein

    „People should not be afraid of their governments. Governments should be afraid of their people.“ – V for Vendetta (2005)

  5. oernmaster

    Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los das sich jeder in die Entscheidung des BVerfG das rein interpretiert , wie er es gerne sehen möchte .

    Ich persönlich glaube nicht das sich die europäischen Eliten dadurch von ihrem Vorhaben abbringen lassen .
    Die Nationalstaaten werden mit Ansage vernichtet und was bleibt ist eine ferne und nicht kontrollierbare Regierung in Brüssel.
    In den einzelnen Staaten werden irgendwann die Bürger aufbegehren und eine Sezzesionsbewegung wird in ganz Europa Anhänger finden .
    Ein europäischer Bürgerkrieg wird eventuell die Folge des ganzen sein .
    Ich persönlich sehe die Europäische Union unter diesen Vorzeichen als eine Bedrohung meiner Zukunft an .

    Es ist auch ein Irrweg zu meinen das Größe alles entscheidend wäre ,gerade heutzutage wäre es aber viel besser man würde die gesetzgebenden Entscheidungen wieder auf regionale Ebenen zurückführen .
    Dort wo der Bürger lebt und wohnt , da muß er auch entscheiden können .

    Oder wie ich immer sagte “ Je weiter die Entfernung der Regierung zum Volk , desto weniger traut das Volk der Regierung und die Regierung seinem Volk. „

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