WDR-Affäre: Abgesang auf journalistischen Anstand

Am Abend findet bei „Maischberger“ der Schauprozeß über die Anti-Semitismus-Doku statt, die die ARD heute überhaupt nur aufgrund öffentlichen Drucks ausstrahlt. Ungeheuerlich ist: Der WDR wird diese vor Ausstrahlung mit Schautafeln kommentieren. 1. Man sei schon immer gegen Antisemitismus gewesen. 2. Der Film habe (gravierende?) Mängel. Eine möglicherweise auch rechtswidrige Unverfrorenheit. Nachdem der Film fünf Monate vorliegt, wurde die Produktionsfirma in letzter Minute zu Nachtschichten genötigt, um kleinere Änderungen vorzunehmen. Das hätte längst geschehen können, wie dies in jedem professionell mit Gebührengeldern umgehenden Sender die Norm ist. Differenzen über eine Dokumentation sind im Vorfeld zu klären. Soweit den Änderungswünschen des WDR nicht entsprochen wurde, blendet dieser jetzt an drei Stellen (Minuten 28:50 bis 34:05) im Film Tafeln mit Kritik ein. Eine EAPPI-Mitarbeiterin im EAPPI-T-Shirt, die einen Holocaust-Vergleich anstellt, habe nichts mit EAPPI zu tun. Oder: Die NGO B’Tselem oder/und Brot für die Welt seien nicht mit den Vorwürfen konfrontiert worden, wonach ein Mitarbeiter den Holocaust als Erfindung der Juden bezeichnet. Letzteres ist seit Jahren bekannt. Die NGO und Brot für die Welt hatten mithin alle Zeit der Welt, all das zu sagen, was zu sagen ist. Die skandalöse Äußerung kann man im Film hören und sehen.

Und wenn das zutrifft, dann wäre es ein rundum ungeheuerlicher Eingriff, sowohl in das Werk der Filmautoren wie auch in die Urteilsfähigkeit der Zuschauer, die vom WDR für zu blöd gehalten würden, sich selbst ein Urteil bilden zu können. So etwas hat es bis jetzt nur bei Dokus aus der NS-Propagandaküche gegeben, die mit begleitenden Anmerkungen denazifiziert wurden. Und bei der „kritischen“ Ausgabe von „Mein Kampf“.  Henryk M. Broder „WDR-Affäre – Betreuter Anti-Semitismus“

Der WDR sitzt auf der Anklagebank, weil er eine Sendung, die in beängstigender Weise den Anti-Semitismus in Europa dokumentiert, unter den Teppich kehren wollte. Diese öffentliche Blamage und Demütigung versuchen die Funktionäre der größten ARD-Anstalt (ganz oben Tom Buhrow und Jörg Schönenborn) nun zu beheben, indem sie mit diskreditierenden Schautafeln operieren und nach Ausstrahlung des Films bei „Maischberger“, produziert im Auftrag des WDR, ein Schautribunal über die Doku veranstalten. Man muß, nachdem man die Talk-Show gesehen hat, Sandra Maischberger zugestehen, dass sie diese Sendung, mit Sicherheit unter enormem Druck seitens des WDRs stehend, souverän und fair moderiert hat. Ich habe mir schon überlegt, ob die Auswahl der Gäste nicht eine Art Rache an der Einflußnahme des Senders war. Denn eine demütigendere Niederlage haben Schönenborn und seine Mitstreiter Verleger, Blüm und Pörzgen wohl noch nie erlitten. Prof. Dr. Wolffsohn und Ahmad Mansour beherrschten die Manege intellektuell und von den Fakten her. Es war kein Duell unter Gleichen.

„Das ist ein in der deutschen TV-Geschichte einmaliger und einzigartiger Vorgang. Vor die Wahl gestellt, den Film zu senden oder nicht zu senden, hat sich das Haus klammheimlich und ohne Absprache mit den Autoren der Doku dafür entschieden, die Arbeit zu denunzieren und zu verfälschen. Die Verantwortung dafür trägt in letzter Instanz der amtierende Intendant.“ „WDR: Miese Tricks in letzer Minute“

Dort durfte Jörg Schönenborn (WDR) so lange sprechen, wie er mochte. Weder die Produzenten des Films noch die beim WDR redaktionell verantwortliche Redakteurin wurden, soweit mir bekannt, auch nur angefragt. Der WDR darf also im eigenen Sender mit einer von ihm selbst produzierten Sendung sein eigenes Versagen schönreden. Er kommt zu Wort, die Betroffenen Journalisten nicht. Seit Jahrtausenden gilt im Recht dessen fundamentaler Grundsatz: Audiatur et altera pars – Man höre auch die andere Seite. Ein Prinzip, das auch jeder Journalist, der den Namen zu Recht trägt, in seiner Arbeit berücksichtigt. Wie haarsträubend ist es doch, wenn der WDR Tafeln einblendet und als gravierenden Mangel brandmarkt, die Produzenten hätten eine betroffene NGO nicht gehört und diesen Grundsatz in eigener Sache im selben Kontext mit Füssen tritt. Gibt es einen besseren Beweis dafür, dass es hier nicht um journalistische Meinungsunterschiede ging, sondern allein darum, den Film aus politischen Gründen in der Versenkung verschwinden zu lassen?

Update 22.06.2017: „Wenn Sie die journalistischen Standards die sie hier anlegen immer anlegen würden, hätten sie fast nur Testbilder.“ Wolffsohn bei „Maischberger“ an Schönenborn. Schönenborn erlebte in der Sendung eine intellektuelle Exekution sui generis.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2017

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Kommentare

  1. schlesier

    Der Film hätte im “ Schwarzen Kanal “ unkommentiert so laufen können wie er gesendet wurde . Ein Armutszeugnis für Deutschland .

  2. Joachim Nikolaus Steinhöfel Autor

    Und genau so war es auch. „Wir habe Wahljahr in Frankreich“, hörte man – intern – von ARTE.

  3. Turandot

    Sie dürfen auch nicht vergessen das in Frankreich wichtige Wahlen vor der Türe standen. Diese Doku kam, schon thematisch völlig zur Unzeit. Erst Recht mit diesem Inhalt. Also, besser erst mal in den „Giftschrank“ damit… So deren ,von mir vermuteter, Denke.