Kein guter Tag für Facebook: Krachende Niederlage vor dem OLG Stuttgart

Der 23. Januar 2019 war kein guter Tag für Facebook. An diesem Tag hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die Berufung des von uns vertretenen Klägers eine einstweilige Verfügung gegen das Unternehmen erlassen. Und dies mit einer Begründung, die ebenso ausführlich wie juristisch glänzend die Grundsatzfrage behandelt, ob der in zahlreiche Rechtsstreitigkeiten verwickelte „Quasi-Monopolist“ (OLG Stuttgart) legale Inhalte seiner Nutzer nach Gutsherrenart („Hausrecht“) löschen und diese mit Sperren schikanieren darf oder nicht.

Selbstverständlich darf und muss und sollte Facebook Inhalte entfernen, die rechtswidrig oder gar strafbar sind. Gesetzesverstöße haben nichts mit Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit zu tun. Die Lösch- und Sperrpraxis von Facebook aber ebensowenig. Die teilweise schon unappetitliche Rechtsverteidigung eines arroganten IT-Riesen, der sich über dem Recht wähnt, noch weniger.

Vorliegend ging es um einen Text, der sich sehr hart mit der Einwanderungspolitik der Bundeskanzlerin befasste, aber sowohl vom Landgericht Stuttgart, vom Oberlandesgericht Stuttgart wie von Facebook selber als zulässig erachtet wurde. Facebook löschte den Text, stellte ihn wieder her, löschte ihn erneut und stellte ihn auf unsere Abmahnung erneut wieder her. Was für ein Chaos. Es habe sich „scheinbar“ um „Hassrede“ gehandelt. Wenn man selber sogar im Prozeß eingesteht, etwas zu Unrecht gelöscht zu haben, sollte man auch die Einsicht erwarten, eine dann übliche Unterlassungserklärung abzugeben. Diese Einsicht fehlte Facebook auch in der Berufungsverhandlung völlig.

Die dem OLG Stuttgart und dem Gegner zugemutete Berufungserwiderung, die mit Anlagen 286 Seiten umfasste, lässt, da es sich dabei nicht um einen Einzelfall handelt, mehrere Schlussfolgerungen zu.

Das Unternehmen ist bereit, erhebliche und in diesem Prozess mutmaßlich deutlich 5stellige finanzielle Aufwendungen zu tätigen, um die Löschung selbst nach eigener Einschätzung zulässiger Inhalte vor Gericht zu verteidigen. Eine völlig absurde Einstellung. Ich gehe hierbei davon aus, dass die Gegnervertreterin aus dem Hause White & Case nach Stunden und nicht nach Streitwert abrechnet.

Das in zwei Instanzen hunderte von Seiten umfassende Vorbringen (redundant, rechtsirrig, endlose, teils wörtliche Wiederholungen) erfolgt nicht, weil dies zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung geboten wäre, sondern als eine Art Taktik der verbrannten Erde, um Gericht und Gegner zu ermatten, mit Papier zu erschlagen. Mehrfach wurden selbst erkennbar unzulässige Rechtsmittel eingelegt (OLG Stuttgart, Kammergericht, OLG Köln), die aber dennoch mit 50 Seiten und mehr „begründet“ werden. Lesen muss man diesen Rechtsunsinn dennoch, damit nicht später irgendetwas „unstreitig“ bleibt.

Diese erbärmliche Spiel, das eine völlige moralische Verwahrlosung des Monopolisten dokumentiert, wird dann ein Ende haben, wenn wir eine höchstrichterliche Entscheidung beim BGH erstritten haben.

Wir sind auf sehr gutem Weg dahin.

Einige Passagen aus dem am 23.01.2019 verkündeten Urteil sind auch für Nicht-Juristen und Facebook-Nutzer ohne weiteres verständlich und verdienen es, bekannt gemacht zu werden.

„Entweder es liegt eine Hassbotschaft vor, die nach den vertraglichen Standards verboten ist (und dann gelöscht werden darf…) oder es liegt ein zulässiger Inhalt, eine Information, vor, die geteilt und dann auch nicht gelöscht werden darf.“

„Die Auffassung der Beklagten (Facebook) läuft ansonsten im Ergebnis darauf hinaus, dass die nach ihrer Auffassung und ihrem Ermessen berechtigte Löschung (und gegebenenfalls erfolgte Sperrung des Accounts) auch von nicht gegen ihre Richtlinien verstoßenden Beiträgen immer dann endgültig werden kann, wenn sich der betroffene Nutzer nicht wehrt. Es kann aber nicht richtig sein, dass nur die zulässigen Beiträge im Netz bleiben, bei denen sich Nutzer gegen eine unberechtigte Löschung zur Wehr setzen, sondern es ist eine Vertragspraxis zu verlangen, die die Nutzer bei zulässigen Beiträgen gleich behandelt.“

„Angesichts der überragenden Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung und wegen der Monopolstellung der Beklagten…überwiegt jedenfalls bei erlaubten politischen Kommentaren das Recht zur freien Äußerung, das im Übrigen auch vertraglich gewollt und eingeräumt ist, von der Beklagten ja auch so propagiert wird, weil ‚die Welt‘ vernetzt werden soll.“

„Die Beklagte kann nicht einerseits einen freien Zugang zu Informationen und zum Teilen von Informationen propagieren, sich aber andererseits auf den Standpunkt stellen, sie habe das Recht, enge Regeln aufzustellen, die es der alleinigen Entscheidungskompetenz der Beklagten unterwerfen, welche Beiträge veröffentlicht werden dürfen.“

Das Urteil enthält eine erhebliche Menge weiterer, hochinteressanter, gedankenreicher und wichtiger Ausführungen zur Rechtslage, die ich hier aber übergehe. Dies ist kein Juristenblog.

Der Kampf geht weiter. Wir werden ihn gewinnen. Dafür ist es aber auch erforderlich, dass die Zivilgesellschaft hilft, wie dies in großartiger Weise schon für das Verfahren um die Sperrung der „Erklärung 2018“ durch Facebook als „Hassrede“ der Fall war. Der Fall wurde vor dem LG Bamberg gewonnen, das Urteil wurde rechtskräftig. Nun ist aber dennoch eine Hauptsacheklage erforderlich, weil das Eilverfahren keine endgültige Rechtskraft bietet. Die Klage ist eingereicht und Sie können sich mit mir fragen, warum der Gegner ein Urteil rechtskräftig werden lässt, es dann aber doch nicht als endgültige Regelung anerkennt.

Bitte helfen Sie unserer Seite weiter. Der durch Spenden getragene Fonds von „Meinungsfreiheit im Netz“ finanziert zahlreiche wichtige Prozesse (das Verfahren vor dem OLG Stuttgart bezahlt der Betroffene selbst), über die auch schon sehr umfangreich in den Medien berichtet wurde („Facebook löscht mit politischer Schlagseite, FAZ; „So absurd löscht Facebook die Beiträge seiner Nutzer„, Bild). Aktuell ist, neben vielen anderen, ein Verfahren von Hamed Abel-Samad in Berlin in der Beschwerdeinstanz beim Kammergericht, das auch von den Spenden getragen wird und das wir gfls. bis zur Erschöpfung des Rechtsweges betreiben werden und betreiben müssen. Und auch die Sache der Twitter-Blockade eines Journalisten der „Jerusalem Post“ durch den Staatsminster im Auswärtigen Amt, Niels Annen, wird zur Hälfte vom Fonds, zur anderen Hälfte von einem privaten Unterstützer getragen.

© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2019

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Kommentare

  1. Thomas Voß

    Vielen Dank, für den Einsatz!

    Auch ich habe gerade meine nächste Sperrung, für eine ironische Bemerkung, kassiert.

    Zu den #Geldfinde-#Syrern kann man nur sagen:
    Wenn die beim #Minensuchen in Syrien auch so erfolgreich sind, läufts!

    Das reichte für eine Sperrung. Testweise hat ein Facebook Freund den selben Witz gepostet. Nur nicht mit „Geldfinde Syrern“ sondern mit Geldfinde Deutschen. Resultat: Keine Sperrung.

    Hoffentlich hört der Irrsinn, dank Ihrer Bemühungen, demnächst auf.

    Grüße aus Dresden
    Thomas Voß

  2. Wirklich schön, daß es noch Leute gibt, die sich gegen das unredliche und arrogante Verhalten von FB wehren.

    FB muß sich bzw. müßte sich in einem Rechtsstaat an das jeweilige Rechts des Rechtsstaats halten, so wie es alle anderen Menschen und Firmen auch tun müssen.

  3. Georg F. Hensel

    Könnte die mutmaßlich sinnlose Verschwendung von finanziellen Mitteln seitens Facebook für anwaltliche Tätigkeiten nicht einfach den Grund haben, diese später als betriebliche Ausgaben steuerlich geltend zu machen? Die einen spenden ihr Kapital für gute Zwecke, um dieses steuerlich absetzen zu können. Facebook „spendet“ an White & Case…

    Darüber hinaus muss das Facebook legal department sein Budget für Rechtsstreitigkeiten voll ausschöpfen, weil es sonst in folgenden Budget-Plänen weniger Geld zur Verfügung gestellt wird.

    Letztlich kann man darin auch eine strategische Entscheidung des mittleren Managments sehen, das sich vor seinen Vorgesetzten verantworten muss, und das funktioniert wesentlich leichter, wenn man sagen kann, die besten Kanzleien damit beauftragt zu haben, alles nur menschenmögliche getan zu haben, um juristische Angriffe abzuwehren. Denn dann gelingt auch im Falle des Scheiterns die Argumentation, man hätte nicht mehr tun können als man getan hat.

    Sinnloses Verbrennen von Geld? Das kommt demnach auf die Perspektive an. Moralisch verwerflich, weil man der Gegenseite Steine in den Weg legt und sich unkollegial verhält? Gut vertretbare Ansicht. Aber eine gewisse Logik kann man in dem Verhalten erkennen, auch wenn es dadurch nicht weniger frustrierend und beklagenswert wird. Wie schon der Autor gesagt hat, die „Taktik der verbrannten Erde“… funktioniert seit Jahrtausenden bestens, nur die Mittel wandeln sich.

    Rechtlich ist die Sache ja scheinbar eindeutig in diesem Fall. Insofern ein Lichtblick im grauen Nebel der latent schleichenden Meinungszensur, nicht nur durch staatliche Stellen, sondern auch durch Medienkonzerne.

  4. Marco

    Mein FB-Konto wurde eingefroren, da ich mich da nicht mit meinem wahren Namen registriert habe und mich geweigert habe, FB eine Kopie meines Personalausweises zur Identitätskontrolle zu schicken.
    Kann mir ein Anwalt behilflich sein?
    Welche Art von Fachanwalt bzw. mit welchem Schwerpunkt ist für so einen Fall zuständig?
    Wie stehen die Chancen, dass wir Erfolg haben?
    Wie lange würde es ungefähr dauern?
    Ich gehe davon aus, dass meine Rechtsschutzversicherung die Kosten übernehmen würde.
    Vielen Dank

  5. Hintze

    Nachtrag: Ist das noch Freiberuflertum? Junge Juristen werden in eine Hierarchie eingefügt und lernen erst einmal, alles mit sich machen zu lassen. Mit dem anwaltlichen Selbstverständnis hat das m. E. nichts mehr zu tun. Als Großkanzlei-Partner bei der Beschäftigung von Anwältin Freiberufler-Privilegien zu beanspruchen, halte ich für verfehlt. Die Associates arbeiten ja nicht wie Anwälte früher für sich, sondern als abhängig Beschäftigte auf Geheiß. Wer Anwälte anstellt, muss sie wie Angestellte behandeln.

  6. Hintze

    Nachtrag: Das Berufsbild des Freiberuflers bringt es mit sich, mehr und flexibler als Angestellte zu arbeiten. Aber die Besonderheit ist, dass das auch Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit bedeutet. Dieses Freiberuflertum ist bei den Associates nicht gegeben, wird von den Partnern zugunsten der Profitmaximierung ausgehebelt und unterminiert in letzter Konsequenz das anwaltliche Selbstverständnis. Es wird eine Generation von formell hervorragenden Juristen herangezüchtet, die über das bloße Funktionieren hinaus nichts mitgegeben bekommt. Dies führt m. E. zu dem Duckmäusertum, das sich mittlerweile überall zeigt – erst einmal in eine Hierarchie einfügen und alles hinnehmen.

  7. Hintze

    Es wäre nicht so schlimm, wenn White & Case diese Materialschlacht nicht auch noch mit mutmaßlich illegalen Methoden betreiben würde. Bei azur-online.de lässt sich nachlesen, dass die angestellten Anwälte dort nach eigenen Angaben gut 55 Stunden die Woche arbeiten, auch an Wochenenden. Wenn man davon ausgeht, dass die 55 Stunden nicht gleichmäßig verteilt sind, wird offensichtlich gegen so ziemlich alle Vorschriften des ArbZG verstoßen – Schnitt von höchstens 48 Wochenstunden, 10 Stunden Höchstarbeitsdauer täglich, 11 Stunden Abstand von Arbeitsende bis -beginn, Verbot Sonn- und Feiertagsarbeit. Das bedeutet Straftaten von Anwälten zulasten ihrer angestellten Anwälte. Passt zu Facebooks illegalen Praktiken und dürfte zulassungsrelevant sein.

    Antwort JS: Wissen Sie, wir Freiberufler arbeiten eben manchmal etwas länger. Ärzte ja zB, wenn es nötig ist auch. Daraus werde ich ganz bestimmt nichts herleiten.

  8. Daniel Uherek

    Lieber Joachim Nikolaus Steinhöfel , schon lange verfolge ich Ihren Kampf gegen Facebook. Es schien mir zum Anfang als würde David gegen Goliath kämpfen. Aber im laufe der Zeit , bin ich immer wieder begeistert wie Sie sich einsetzen und reinknien. An dieser Stelle ein riesiges Lob und vielen Dank. Gerne unterstütze ich den Fond von „Meinungsfreiheit im Netz“

    Hochachtungsvoll Uherek Daniel

  9. Klaus

    eine Art Taktik der verbrannten Erde, um Gericht und Gegner zu ermatten, mit Papier zu erschlagen.
    .
    Das kommt mir bekannt vor.
    Lang ist’s her. In einem Beleidigungsfall hat mein Anwalt auch so gehandelt: dem Gericht (oder Staatsanwalt?) mehrere dicke Ordner mit Unterlagen vorgelegt, in der (berechtigten) Hoffnung, dass sich niemand bei Gericht diese Arbeit wegen einer simplen, unbewiesenen mündlichen Beleidigung aufhalsen möchte.
    Hat geklappt.

  10. Jürgen Freitag

    Facebook ist zum Zensurvasall der Regierung verkommen,kann nur allen Usern raten diesen fragwürdigen Anbieterzu kündigen!